Zeitlose Malerei und “zeitgenössische Kunst”

 

1. Die künstlerische Qualität und die scheinbare Neuheit

 

Heutzutage mag es naiv sein, von künstlerischer Schönheit zu sprechen, wenn es um “zeitgenössische Kunst”, vorauszusetzen, dass die über Jahrhunderte gültigen Überlegungen zur Ästhetik auch jetzt akzeptiert werden, oder anzunehmen, dass die gegenwärtig produzierten Kunstwerke (die folglich eine solche Schönheit enthalten sollten) als solche anerkannt und bewertet würden.

Viele sind ĂĽberzeugt davon, dass die Suche nach der Schönheit in der Vergangenheit das Ziel der Kunst bedeutete, aber jetzt sei die “zeitgenössische Kunst” eine andere Angelegenheit. Die, die so denken, wollen Veränderungen statt Schönheit (die Mode tut genau dies, “sie schmeichelt unseren vulgärsten Veränderungsinstinkten” 1), Neuigkeiten, Ăśberspanntheiten, Provokationen, UmstĂĽrze, BrĂĽche mit der Tradition… Vielleicht gibt ein Beispiel zu alldem etwas Orientierung: der vermutlich reichste “KĂĽnstler” der Welt ist ein gewisser Hirst, dessen groĂźes Verdienst darin besteht, Tierkadaver in durchsichtige, mit Formol gefĂĽllte Kästen gesteckt zu haben: einen Hai, das Fohlen eines Zebras, ein Kalb….

Ein gutes Porträt, in dem womöglich die Seele eines menschlichen Wesens zum Vorschein kommt, werden diese “Modernen” fĂĽr “konventionell” erachten und es verwerfen, weil das Wichtige jetzt die neuen Formen sind. Die modernen “Porträts” von Picasso befriedigen diese neuen Geschmäcker; in ihnen entdecken wir ausgeprägte oder bizarre Deformationen (wie etwa zwei Augen auf derselben Seite der Nase), aber diesen Porträts fehlt die Seele; wo ist die Spur des Spirituellen der in den “Porträts” von Warhol dargestellten Personen?… Es gibt sie nicht: “Die KĂĽnste des 20. Jahrhunderts haben aufgehört, den Menschen als ein Wesen mit einer spirituellen Dimension zu betrachten, um ihn in ein einfaches plastisches Objekt zu verwandeln” (JosĂ© JimĂ©nez Lozano, Cervantes-Preisträger 2002).  Man sollte dieses Zitat wohl immer mit herausgehobenen Buchstaben schreiben ―fett, kursiv oder in Versalien―, denn es fasst in vollkommener Weise zusammen, was geschehen ist und was auch jetzt noch geschieht.

Aus diesem Grund weden auf dieser Webpage, www.jrtrigo.es, dem Besucher die folgenden Sätze offeriert (sie befinden sich im unteren Balken, rechts von Weitere Informationen und Links; je nach Fenster erscheint der eine oder der andere):

“Die mittelmäßigen Zeitgenossen von Velázquez, geplagt von der Krankheit des Neides, die immer schwächlich ist, weil sie ´beißt, aber nicht isst´, wie Quevedo schrieb, sagten dem König, der Hofmaler sei nur in der Lage, Menschengesichter zu malen. ´Stimmt das?´fragte der König Velázquez. ´Ich kenne Keinen, der wirklich die Gesichter von Menschen malen kann. Es ist das Schwierigste überhaupt.´erwiderte er ihm.” 2

Diese Worte sind nur verständlich, wenn man die spirituelle Dimension des Menschen nicht vergisst.

Die “moderne” Haltung unserer Zeitgenossen hat allerdings historische Vorläufer. Von der Webpage www.jrtrigo.es  aus, und insbesondere mit den dort enthaltenen Texten Meine Malerei und Mögliche Ursachen der aktuellen Lage, versuche ich, dieses den Moden verfallene Verhalten des Kunstsektors im 20. Jahrhundert und am Beginn des 21. Jahhunderts in Frage zu stellen und die Situation ein wenig zurechtzurücken… An zwei Stellen des Textes Meine Malerei heißt es:

Die Witwe Johann Sebastian Bachs, Anna Magadena, stellte fest: „Ich weiß wohl, dass jetzt neue musikalische Strömungen existieren und daß die Jungen ihnen folgen, wie sie immer allem Neuen folgen; aber wenn sie älter werden und wenn sie wahre Musiker sind, werden sie zu Sebastian zurückfinden. Wenn ich davon absehe, dass ich seine Frau bin, besser gesagt, oje, seine Witwe, verstehe ich doch genug von Musik, um zu wissen, dass es genauso kommen wird, auch wenn jetzt, wenige Jahre nach seinem Tod, seine Werke fast vergessen sind und die Kompositionen seiner Söhne Friedemann und Manuel den seinigen vorgezogen werden“ 3… Mozart, Beethoven, Mendelssohn, Chopin, Schumann, Brahms haben sich für die Musik des J. S. Bach interessiert; sie waren nicht alt, aber sehr wohl wahrhafte Musiker.

Wenden wir uns, im Gegensatz, einem Beispiel mit anderem Charakter zu. Als Experiment oder Scherz hat man auf einer der Messen für zeitgenössische Kunst, ARCO, die alljährlich in Madrid stattfindet, ein Bild ausgestellt, das von einigen Kindern eines Kindergartens innerhalb weniger Minuten hingekleckst worden war. Die Besucher der Messe hielten dieses Werk für eines unter den vielen hier ausgestellten… Können Sie sich das Ergebnis vorstellen, wenn man eben dieses Experiment im Prado-Museum wiederholt hätte? Es ist offensichtlich, dass der Scherz keinen Erfolg gehabt hätte, niemand hätte sich täuschen lassen.

Das eben beschriebene Beispiel illustriert die künstlerische Verarmung, zu der mit relativer Emsigkeit der Drang nach Neuartigem und nach Überspanntheiten in unseren Tagen geführt hat. Und zugleich bringt es ein anderes aktuelles Problem an den Tag: bestimmte Personen verwechseln den Anschein von Modernität mit künstlerischer Qualität. Es ist dies eine weitere Folge der Gier nach Neuem und des Fehlens der Bedingung, die Anna Magdalena Bach (die ich eingangs zitierte) nannte: „ …wenn sie […] wahre Musiker sind, weden sie zu Sebastian zurückfinden.“ 4 (zur Musik von J. S. Bach). Ihre Worte paraphrasierend, könnten wir sagen: wenn sie wahre Maler sind, wenn sie die Kunst wahrlich verstehen und lieben, werden sie die künstlerische Qualität wieder höher einschätzen als die scheinbare Neuartgkeit.

 

2. Der Weg der künstlerischen Schönheit und ihre Ersetzung durch Surrogate und Fälschungen

 

Wenn wir die wahre künstlerische Schönheit diesen zeitgenössische Arten, “Kunst” zu machen, gegenüberstellen würden, wäre der Unterschied sofort bemerkbar. Erstere führt den Menschen zu einem Einklang mit der Schöpfung; sie entfernt ihn nicht von der Wirklichkeit, aber sie berührt das menschliche Wesen mittels einer gesunden “Erschütterung” (wie das schon Platon formulierte), die den Menschen über sich hinauswachsen lässt; die ihn herausreißt aus der platten und groben Angepasstheit an den Alltag und die ihn aus seiner Routine erweckt, die ihm den Blick der Herzens und der Geistes öffnet und ihm dabei Flügel verleiht, die ihn aufwärts treiben, hin zur Erkenntnis der Mysteriums― ein freudiges Treffen mit dem Unbeschreiblichen!―; die ihn konfrontiert mit Schätzen, die sich dem Geist erschließen und ausgefüllt sind mit Worten, Farben, vielfältigen Formen und, schließlich, Zugänglichkeit.

Im Gegensatz dazu greifen die zeitgenössischen Formen der “Kunst” regelmäßig auf “Tiefschläge” zurück (wie das in der Sprache des Boxens genannt wird), auf unredliche Mittel, um die Aufmerksamkeit des Betrachters zu erregen: die Subversion, die Provokation, die Extravaganz, die Obszönität; sie versklaven den Menschen, denn sie scheinen seine Spiritualität nicht anzuerkennen; sie reduzieren den Horizont seiner Existenz auf das rein Materielle, auf eine beschränkte und banale Vision; sie umklammern oder halten ihn auf mit nichtkünstlerichen Vorgelhensweisen, zu deren Bestandteilen eine abgestimmte Propaganda gehört, der sich als Komparsen des Blendwerks die Medien anschließen. Des Blendwerks? Aber ja, erinnern Sie sich an die fabelartige Erzählung von Hans Christian Andersen, Des Kaisers neue Kleider: die schlitzohrigen Schneider… der nackte Kaiser! Dieser zweite Weg der “Kunst” besteht au einer Flucht ins Irrationale oder aus einem reinen Ästhetizismus, der gelegentlich dekotative Ergebnisse hervorbringt. Das Dekorative erfüllt dem Anschein nach die gleiche Rolle wie das Künstlerische, genau so, wie zwei Bücher auf gleiche Weise ein Regal schmücken können – allerdings besteht der wesentliche Unterschied zwischen ihnen im Inhalt: Eines kann banalste Unterhaultung sein, das andere ein tiefgründiger Text voller Witz. Worin nun besteht der Reiz des Dekorativen? Er besteht darin, dass es letzten Endes einige Tropfen des künstlerischen Extrakts enthält!

Eines der Zeichen für die Irrationalität in unserer Zeit ist, dass ganz und gar decorative Werke, deren Betrachtung kaum mehr als drei Minuten erfordert, als paradigmatisch für das Moderne angesehen werden und eine Wertschätzung erfahren, die gleich oder höher als die der universalen Meisterwerke der Malerei ausfällt. Diese Schwäche für das Auffllige, dabei Oberflächliche, unseres Zeitalters kennzeichnet diejenigen, die solche oberflächlichen Vorlieben haben. Es ist als würde man einen Comic oder eine Sportreportage ―Formen zur Unterhaltung oder Zerstreuung ohne weiteren Anspruch― ebenso bewerten wie eine Literatur, die sich zeitlosen Werten widmet.

Der Schriffsteller Juan Manuel de Prada greift diese Frage in zwei seiner Zeitungsartikel auf: “Die barbarische Bilderstürmerei der Islamisten unterscheidet sich letzten Endes und in ihren Folgen nicht allzu sehr von der überaus kultivierten Bilderstürmerei des neuheidnischen Westens, der die Zerstörung von Kunst unter verschiedenen Vorwänden betreibt, ästhetischen, ideologischen, philantropischen und selbst religiösen, Masken des Guten, hinter denen sich der Hass auf das Schöne und letztlich auf seinen Schöpfer verbirgt, um auf diese Weise ihre Saat in unsere Seelen zu tragen.”

“Denken wir also über die Entwicklung der wahren “modernen Kunst” nach, deren letzter Vorsatz kein anderer ist als das Schöne zu kritisieren, es anzuspucken, es mit Exkrementen zu verunreinigen, bis sich seine Spur in unseren Seelen verflüchtigt, und damit jenen Wunsch von Ivywood verfolgt, der Hauptfigur von Das fliegende Wirtshaus [Roman von G. K. Chesterton], wonach die Kunst das “Durchbrechen sämtlicher Grenzen” verkünden sollte, bis hin zum Verschwinden erkennbarer Normen, zu ihrem Zerschmelzen im reinen Nichts, zum Ertrinken in ihrer Kotze, um nur gründlichst das Wirken des Schöpfers zu negieren.”

“Damit die Belustigung des neuheidnischen Westens nicht nachlässt (man weiß ja, dass die verdorbenen Geschmäcker des Lasterhaften Abwechslung verlangen), haben sich die Anhänger des Islamischen Staates jetzt filmen lassen, während sie assyrische Statuen von ihren Piedestalen im Museum von Mosul stürzten, um sie dann voller Groll zu zertrümmern, bis nur noch Scherben blieben. Ein desorientierter Betrachter könnte das erwähnte Video mit einer dieser schwachsinnigen Performances von Joseph Beuys oder eines dieser Trickser verwechseln, die ihren Plunder auf jener Ramsch-Messe mit Namen ARCO zur Erbauung der Komplexbeladenen und der Snobs ausstellen.” 5

“Moratinos […] meint, dass die Farbkanonaden, die der KĂĽnstler BarcelĂł an die Gewölbedecke des Saals der Menschenrechte und der Allianz der Zivilisationen feuert, die “Sixtinische Kapelle des 21. Jahrhunderts” sind. Auf den ersten Blick könnte diese Behauptung als die Ăśbertreibung eines dĂĽmmlichen Schwätzers durchgehen; jedoch wird sie zur unanfechtbaren und tiefgrĂĽndigen Wahrheit, sobald man beginnt, ĂĽber das Wesen der zeitgenössischen Kunst nachzudenken.”

“Was hat Michelangelo letzten Endes in der Sixtinischen Kapelle erschaffen? Was er erschaffen hat, war eine Reflexion mit dem Pinsel über die Idee eines Schöpfer-Gottes, der den Menschen nach seinem Bild und Vorbild erschaffen hat; somit ein Gott, der ein bildender Künstler, also ein Reaktionär und Faschist war. Und was tut die zeitgenössische Kunst? Nun, was die zeitgenössische Kunst tut, ist, über ihre Abneigung gegenüber der Idee eines Schöpfer-Gottes nachzusinnen, dabei ein Modell des Universums entwerfend, das die Schöpfung ablehnt; ein Universum, das von den Regeln geführt wird, die der Künstler selbst bestimmt und das, in seiner Einbildung, in die völlige Abwesenheit von Regeln mündet, einer irrlichternden und agnostischen Seltsamkeit, die sich auflöst, indem man Farben mit einem Schlauch verspritzt. Der Maler Barceló ist in der Tat der Michelangelo des 21. Jahrhunderts; und die Allianz der Zivilisationen ist eine Hervorbringung nach den Maßgaben der zeitgenössischen Kunst: ein Unsinn ohne Hand und Fuß, gemacht nach Bild und Abbild eines Göttchens mit hohlem Kopf, das seine Spielchen finanziert, indem es die Taschen seiner Lakaien plündert, die zu seiner Vergottung beigetragen haben.” 6

Hier folgt ein Kommentar von Balthus: “Wenn wir doch von so vielen schönen Dingen umgeben sind, warum nur strengen wir uns so an, sie zu vermeiden? […] Das einzige Ziel der Malerei ist die Schönheit. Das gerupfte Fleisch einiger zeitgenössischer Maler verwandelt die Malerei in ein Gewerk im Fall. Teuflisch. Während es darauf ankommt, die göttliche Schönheit zu erreichen.”7  “Denn nach meinem Verständnis hat uns Gott, der die Welt erschaffen hat und der sie weder hässlich noch unverständlich erschaffen konnte, ein gewaltiges Feld an Schönheit überlassen, über die der Künstler verfügen sollte. Wie sollte man Hässliches verfertigen bei so viel Schönem? Ich habe mich immer als ein Bewahrer dieser Gaben empfunden, ihnen gegenüber verantwortlich. Man muss seine Niedergeschlagenheit überwinden, sein Leiden, seine Zweifel, um sich der enormen Aufgabe hinzugeben, die die Weihe der Malerei darstellt, dieses Eintauchen in die göttliche Schönheit.” 8

“Das Grauen vor dem Immergleichen”, ironisch sagt der Versucher in Briefe des Teufels an seinen Neffen von C. S. Lewis, “ist eine der wertvollsten Leidenschaften, die wir im Herzen der Menschen geweckt haben: eine unerschöpfliche Quelle von Ketzereien in der Religion, von Irrsinn in den Ratschlägen, von Untreue in der Ehe, von Unbeständigkeit in der Freundschaft…”, und von Veränderungen ohne Sinn und Verstand in der Kunst, könnte man hinzufĂĽgen.

 

3. Die totalitäre Durchsetzung des Geschmacks am Neuen und Scheinbaren

 

Gegenwärtig wird in den “künstlerischen” Milieus eine Ungerechtigkeit zugelassen und wird eine Tyrannei praktiziert, wie sie ―mit umgekehrten Vorzeichen― auch im 19. Jahrhundert stattfand: damals schlossen die Mitglieder der Akademie die Bilder der “impressionistischen” Maler, die die Substanz und den Nachdruck der Inspiration den von jenen verteidigten verknöcherten Normen entgegenstellten, systematisch von den Ausstellungen aus. Jetzt ächten und verachten diejenigen, die weiterhin mit voller Überzeugung der modischen Gier nach scheinbaren Neuheiten anhängen, die Arbeiten der wenigen Inkonformisten, die wir dafür kämpfen, die Flamme der künstlerischen Schönheit am Leben zu erhalten und die wir das Erringen dauerhafter Werte in der Kunst herbeisehnen.

Die Diktatur unserer Tage, die das Neuartige, das vielleicht Vergängliche, gegenüber dem Klassischen und Beständigen verherrlicht, hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Niedergang des antiken Griechenland; im 1. Jahrhundert “kümmerten sich sämtliche Athener und die Auswärtigen, die hier wohnten, um nichts Anderes, als die neueste Neuigkeit zu sagen oder zu hören” (Apostelgeschichte, 17, 21); “angesichts einiger Athener, die Freunde der neuen Diskurse waren, die sie freilich nicht weiter beachteten und deren Inhalt sie auch nicht sehr bekümmerte: was sie interessierte, war, etwas Neues erzählen zu können” (Johannes Chrysostomos, Homilien über die Apostelgeschichte, 39). Die Suche nach der Wahrheit (die in der Philosophie der Suche nach der Schönheit in der Kunst entspricht: beide sind transzendental für das menschliche Wesen), die in der glanzvollsten Zeit der griechischen Kultur das Denken von Sokrates, Platon und Aristoteles charakterisierte, war ersetzt worden durch die Suche nach Wandlungen, Neuigkeiten und folglich durch Formen des Denkens, die sehr viel dürftiger waren: epikureisch, stoisch.

„In medio stat virtus“ 9 – die Tugend liegt zwischen zwei Rändern des Lasters, sagten die Weisen der klassischen Antike. Wenn die Verknöcherung der Akademiemitglieder des 19. Jahrhunderts, die sich jeder bereichernden Entdeckung in der Kunst verschlossen, ein Laster war, so ist es die modische Gier nach Neuheiten, Extravaganzen und Seltsamkeiten unserer Zeit ebenfalls. Indem wir uns gegen das Eine gewehrt haben, sind wir in das andere Extrem verfallen. Unreife Anfängerarbeiten, denen „Handwerk“ und jede Beherrschung des künstlerischen Materials abgeht, die wenig oder gar nichts ausdrücken vom großartigen Mysterium, das dem Menschen und der Wirklichkeit innewohnt…; Blendwerke ―wie Autos mit einer auffallenden Karosserie, aber ohne Motor―, die wenig oder keinen künstlerischen Wert haben; Torheiten, die sich der Glückwünsche der eifrigsten Verfechter des „Neuartigen“ erfreuen: Weiß auf Weiß, Schwarz auf Schwarz von Kasimir Malewitsch oder das Urinal von Marcel Duchamp haben den guten Namen der Kunst okkupiert; sie überfüllen wie Eindringlinge in manchen Fällen die Museen (Ich hörte einen Universitätsprofessor sagen, dass in den Sälen der „zeitgenössischen Kunst“ häufig die an den Wänden hängenden Feuerlöscher das Schönste seien.). Der „nackte Kaiser“ aus dem Märchen von Hans Christian Andersen hat in unserer Zeit eine Verkörperung gefunden. Die Behauptung: „Das ist Kunst, weil ich, der ich Künstler bin, es dazu erkläre.“ ist durchdrungen vom arrogaten Stil sämtlicher totalitärer Auflagen, die auch das künstlerische Umfeld des 20. und des Beginns des 21. Jahrhunderts bestimmen.

 

4. Verwirrung und Verkehrung der Werte in unserer Zeit

 

Im Verlauf der Geschichte folgten verschiedene, manchmal sogar entgegengesetzte kulturelle Epochen aufeinander; es fehlten auch solche nicht, die das Irrationale (nicht eben das Beste am Menschen) aufreizten. Innerhalb dieser letzteren Gruppe findet sich die Mode der Gier nach Neuigkeiten und Extravaganzen unserer Tage, die trotz ihrer Gelüste, die Originalität anzutreiben, lediglich anders gewandete alte Verhaltensweisen aus der Vergangenheit wiederholt, wie sie anzutreffen waren, als der Mensch scheinbar weniger klug war.

“Wenn man mich fragen würde, welcher der größte Mangel unserer Epoche ist, würde ich ohne zu zweifeln antworten, dass es die Verwirrung und die Umkehrung der Werte sind.” (Gustave Thibon) 10

“Wenn die Laster erst Mode sind, gehen sie glatt als Tugenden durch.” (Molière)

„Sie beginnen zu erkennen, dass so, wie das 18. Jahrhundert sich für das Zeitalter der Vernunft hielt und das 19. für das des Gemeinsinns,   das 20. Jahrhundert kaum anders über sich denken kann denn als ein Zeitalter seltener Dummheit.“ (Gilbert Keith Chesterton)

 

5. Man sollte künstlerische Qualität nicht mit Ruhm verwechseln

 

Es ist heutzutage durchaus häufig, auf Personen zu treffen, die künstlerischen Institutionen vorstehen und dennoch Gemeinplätze verbreiten und lediglich Werke schätzen, denen ein gewisser Ruhm anhaftet.

Diejenigen, die gegenwärtig die wichtigsten Ausstellungsorte kontrollieren, brüsten sich damit, dass sie Werke von Berühmtheiten wie Lichtenstein zeigen, dessen Hervorbringungen (es sind einfache Comic-Vignetten in großem Format) in ihrer Gesamtheit weniger Kunst enthalten als einige Quadratzentimeter eines guten Gemäldes.

Sich jenem Strom anzuschließen, in dem nur Wertschätzung erfährt, was seinen Ruhm vorausgeschickt hat, scheint ein sicherer Weg zu sein. Allerdings darf man denen, die so handeln und womöglich Zeitgenossen von Künstlern waren, deren Werke heutzutage am höchsten geschätzt werden, während sie zu Lebzeiten nur von Wenigen Anerkennung erfuhren, unterstellen, dass auch sie zur amorphen Gruppe jener gehörten, die diese Werke damals ignoriert oder zurückgewiesen haben.

Auch fehlt es in den verschiedenen Künsten nicht an Beispielen von Werken, die ins Vergessen sanken oder in den zweiten oder dritten Rang der Wertschätzung gerieten, während sie zu Lebzeiten ihrer Schöpfer die offizielle Gunst oder allgemeinen Beifall genießen konnten.

Die Gemälde, die Rembrandt von dem Moment an malte, da er in Ungnade und damit ins Elend fiel, wurden von seinen Zeitgenossen übergangen. Dennoch gehören sie zu den ungewöhnlichsten und tiefsten innerhalb des gesamten Schaffens des holländischen Malers und der Malerei insgesamt.

Viele der erhabensten Schöpfungen Schuberts gelangten zu seinen Lebzeiten nicht über den kleinen Kreis seiner Freunde hinaus, und seine letzten ―vielleicht bedeutendsten― Sinfonien wurden uraufgeführt, als der Komponist bereits gestorben war.

Die Uraufführung der Oper Carmen war ein Misserfolg, und ihr Komponist, Bizet, starb, ohne vom Erfolg zu erfahren, der sie später begleiten würde. Aber Brahms lobte das Werk, und Tschaikowsky prophezeite, dass dies die populärste Oper aller Zeiten werden würde, wie es in der Tat gekommen ist.

“Besonders bitter war für Vincent van Gogh der Vorfall bei seiner Verabschiedung von Dr. Rey, dem er als Geschenk ein Landschaftsbild anbot, das dieser jedoch ablehnte, weil er den Spott seiner Familie fürchtete, und als ein Hilfspfleger vorbei kam, fragte er diesen im Beisein des Malers, ob er es vielleicht haben wolle, und der Pfleger antwortete: `Was sollte ich mit diesem Plunder anfangen?`, sehr zu Vincents Enttäuschung, der überzeugt davon war, die einfachen und ungebildeten Leute würden seine Malerei intuitiv verstehen.” 11 Bedauerlicherweise hat sich die Überzeugung des armen van Gogh erst ein Jahrhundert danach bewahrheitet. „Wenn ich so geleckt malen würde wie Bouguereau…“ 12, diese Worte van Goghs fassen unterschwellig die Ablehnung dessen Kunst zusammen, die mit der Dominanz der akademischen Vorlieben jener Jahre im Zusammenhang stehen. Bereits vor dem eben Beschriebenen war es unter denselben Personen zu einem Zwischenfall gekommen: „Aus reiner Höflichkeit hatte Dr. Felix Rey das Porträt angenommen, das van Gogh ihm schenken wollte – auch dieses Bild gefiel der Familie nicht. Es kam auf den Dachboden, später diente es, um die Zugluft in der Küche abzuschwächen. Ein befreundeter Maler wies im Jahr 1900 (elf Jahre nach dem Tod van Goghs) auf den möglichen Wert dieses Bildes hin. Man glaubte ihn nich, aber „für alle Fälle“ wurde das Bild gereinigt und wieder auf dem Dachboden verstaut. Von jenem Maler benachrichtigt, fand sich der flinke Kunsthändler Ambroise Vollard ein, der mit beiden befreundet war, und bot dafür 50 Franc. Der Vater des Arztes fand es unwürdig, so viel Geld für solch einen `Schund´anzunehmen, Dr. Rey jedoch nahm eine etwas realistischere Haltung ein und verlangte auf gut Glück 150 Franc, was zum Erstaunen der ganzen Familie ohne Umstände akzeptiert wurde. Das Bild hängt heute in Moskau (im Puschkin-Museum).“ 13

Im 19. Jahrhundert wunden die Gemälde der Impressionisten systematisch von den offiziellen Salons ausgeschlossen. Nun gut, die Arbeiten, die damals bevorzugt wurden, wecken heute nur wenig Interesse, verglichen mit der enormen Wertschätzung die die „impressionistischen“ Bilder heute umgibt. Wollen wir vergleichen, ob dem so ist: Die Maler, die damals im Schwange waren, hieĂźen Jean-LĂ©on GĂ©rĂ´me, Bonnat, Carolus-Duran, Bouguereau, Falguière… (Wie viele denken jetzt wohl noch an sie?); Die Maler aber, die von jenen, die in den Ausstellungssälen das Sagen hatten, ausgeschlossen wurden und die Sarkasmen nicht weniger Kritiker ĂĽber sich ergehen lassen mussten, waren Manet, Monet, Renoir, Pissarro, Sisley, CĂ©zanne, Degas, Toulouse Lautrec, Van Gogh (Wer kennt sie heutzutage nicht?).

Aber gehen wir in der Zeit weiter zurück, bis zum Jahr 1790 oder 1791. “Mozart wird im Dezember dieses Jahres sterben, aber natürlich weiß er davon nichts; aber es ist dieser Zeitraum, als er beschließt, bei der Zauberflöte mitzuarbeiten. Warum willigt er ein? Es gibt viele Gründe; der erste ist, dass er keinen anderen Ausweg hat als sich an eine Auftragsarbeit wie an eine rettende Planke zu klammern.” “Mozart, das nie erreichte Genie, fand sich im Elend wieder und in einer trostlosen Verkettung von Fehlschlägen.” “Am Anfang dieses Jahres muss er Annoncen aufgeben, um Schüler zu finden (die nicht kommen sollten), es blieben ihm zwei.” “Als im September 1790 König Ferdinand von Neapel in Wien empfangen wurde und er mehrere Musiker zu einem Besuch seines Reiches einlud, war Mozart nicht unter den Eingeladenen, und das trotz der Bemühungen des stets loyalen Haydn, der sehr wohl eingeladen war, aber die Einladung ausschlug, weil er eine Reise nach London zugesagt hatte, es aber dennoch nicht erreichte, dass Mozart seinen Platz einnehmen konnte. Einige Zeit zuvor hatte die Prager Oper Haydn den Auftrag für eine Opera buffa angetragen, und der antwortete: `Warum fragen Sie bei mir an, wo Sie doch Mozart haben, dieses Wunder!´” “Zum Jahresende 1790 bot sich den Wiener Musikern eine erneute Gelegenheit: die Krönung Leopolds II. In Frankfurt. Für die Feierlichkeiten wurden zahlreiche Musiker unter Vertrag genommen, die die Hofzeremonie begleiten sollten. Auch bei dieser Gelegenheit blieb Mozart außen vor, und zwar auf eine überaus erniedrigende Weise.” 14

Der Musiker Gustav Mahler (1860-1911) ist bekannt als einer der herausragendsten Komponisten aller Zeiten. Jedoch hat sich in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts kaum ein Dirigent getraut, in den USA eine Sinfonie von Mahler vollständig aufzuführen, aus Angst davor, das Publikum könnte den Saal verlassen. Die gesellschaftliche Anerkennung ist nicht immer eine Begleiterin der Kunstwerke. Die Moden der Kultur und Werbekampagnen können die Bewertung eines Kunstwerks verzerren und auf diese Weise künstlerisch hochwertige Arbeiten in Vergessenheit geraten lassen, während ganz unbedeutende Werke gefördert werden. Auch verlangt das Erkenntnisvermögen dessen, was eine gewisse Tiefgründigkeit aufweist, vom Zuschauer eine aufmerksame und kontemplative Haltung; auf der anderen Seite erfordert in der Regel die Kenntnisnahme des Leichten und Oberflächlichen lediglich eine sinnliche und emotionale Wahrnehmung: das Publikum strömt in die Fußballstadien, deutlich weniger in die Museen, Bibliotheken oder Konzertsäle, die sich der klassischen und ernsthaften Musik widmen. In seiner ersten Vorlesung zur Einführung in die klassische Musik warnte ein Professor seine jungen Studenten: „Das ist Musik für den Kopf, nicht für die Beine!“ (folglich keine Musik, die lediglich die Beine bewegt, das Skelett in Bewegung bringt, sondern eine, die sich in erster Linie an den Verstand, das Herz und das Denken richtet).

Ein Kind wird immer eine auffällige Rassel bevorzugen ―mit auffälligem Klang und grellen Farben― und den Millionen-Euro- oder Dollar-Scheck ablehnen… Mit welcher Leichtigkeit können die Menschen ―jung wie alt― hereingelegt werden mit schlichten, aber auffälligen Scheinbildern, die dabei einen sehr dĂĽrftigen geistigen Wert aufweisen! Die wahre Kunst ist nicht die, die sich auf Scheinbilder beschränkt (man denke an so viele lautstarke „Konzerte“, „kĂĽnstlerische“ Arbeiten, die durch ihre AusmaĂźe oder ihre scheinbare und aggressive Neuartigkeit Eindruck schinden); die wahre Kunst ist ein unwiderlegbarer Beweis der spirituellen Dimension des Menschen… und auch dessen, dass der Mensch weit mehr ist als ein  lediglich weiterentwickeltes einfaches Tier.

Hat man heute den Eindruck, dass es reichlich Leute gibt, die es vermeiden, mit ihren eigenen Augen zu schauen und nach ihrem eigenen Verständnis zu urteilen. Und so geben sie sich damit zufrieden, eine Kunstproduktion schlicht danach zu bewerten, was andere darĂĽber sagen. Oder sie nehmen die Resultate von Marketing-Kampagnen fĂĽr unverrĂĽckbare Fakten, die der Goebbels-Logik folgen: Eine LĂĽge, tausend Mal wiederholt, verwandelt sich in eine Wahrheit… Hierhin hat uns der Relativismus gebracht ―oder gefĂĽhrt.

 

6. Die Unfähigkeit zur Betrachtung ist ein Zeichen der Dekadenz

 

In der Gegenwart wird vom Begriff des „Genies“ ein inflationärer Gebrauch gemacht, und man verwechselt Medienruhm mit der wahren spirituellen Dimension eines Genies. Nicht wenige Kuratoren von Ausstellungen reden vollmundig von „Genies“, während etliche der Arbeiten eher den Eindruck erwecken, dass sie von Studenten stammen, die ihre ersten Schritte beim Studium der Malerei unternommen haben. In gleichem Maß und als eine Folge des zuvor Gesagten sind wir Betrachter von einem lächerlichen „Kult der Persönlichkeit, den die moderne Welt um die Künstler betreibt; der Kunstmarkt ist infiziert von diesem Geschwür, und die hochheilige Signatur des Malers ist deutlich mehr wert als das eigentliche Bild. Die moderne Malerei hat bis jetzt nicht verstanden, dass das sublime und letzte Ziel der Malerei darin besteht, ein Werkzeug, einen Weg zu finden, um auf die großen Fragen dieser Welt, die noch nicht wirklich entziffert ist, die noch nicht umfassend entschlüsset ist, eine Antwort zu geben. Das Große Buch des Universums ist weiterhin unerschließlich, und die Malerei könnte einer der Schlüssel sein, um einen Zugang zu erlangen.“ 15

Sehr viele Menschen kennen die Musik der Beatles, aber nur sehr, sehr wenige kennen die von Elgar. Elgar? Wer ist denn das?… Nicht einmal der Name ist ihnen geläufig. Nun, auch wenn sich Qualität nicht so leicht bemessen lässt wie Quantität, wĂĽrden wir im Sinn einer orientierenden Näherung sagen, dass ein einziger Takt des Konzerts fĂĽr Violoncelo von Edward Elgar mehr Musikalität enthält als alles, was die Beatles komponiert haben. Und, dieser Linie folgend, dass ein einziger Takt der Dritten Sinfonie von Beethoven (man könnte auch andere Beispiele anfĂĽhren) mehr musikalische FĂĽlle bietet als die gesamte Unterhaltungsmusik des 20. Jahrhunderts… Viele unserer jungen Zeitgenossen ertragen einen klassischen Film in Schwarz-WeiĂź nicht, selbst wenn es sich um ein Meisterwerk handelt, sie langweilen sich…; lediglich „action“, „special effects“ ziehen sie an. Oder sie sind nicht in der Lage, einen so groĂźen, anregenden und tiefgrĂĽndigen Roman wie Don Quijote von La Mancha von Miguel de Cervantes zu genieĂźen, ja, zu genieĂźen! Die „Literatur“ der Klatschhaftigkeit und der Schaulust, die das leere Getue der BerĂĽhmtheiten (oft genug wahre Anti-Modelle) verfolgt, ĂĽberschwemmt heutzutage die Regale der Kioske und Papierhandlungen… und ―leider― auch die Gehirne vieler. Alexander Solchenizyn hat den Finger auf diese und weitere ―viel zu sehr verbreitete― Wunden der westlichen Gesellschaft gelegt… „kurzsichtig“ und „selbstmitleidig“ sei sie (s. Ein Porträt der westlichen Gesellschaft auf www.jrtrigo.es).

Wenn wir uns aus der geistigen Dekadenz, in der unsere Gesellschaft versunken ist, erheben wollen, brauchen wir einen Wandel unserer Gewohnheiten: von der Zerstreuung zur Konzentration; vom Banalen zum Transzendentalen; von der Leichtfertigkeit zur Besinnlichkeit. Wie viele junge ―und nicht sehr junge― Leute haben sich nie die Zeit genommen, die Ballette Dornröschen , Schwanensee oder Der Nussknacker  von Tschaikowsky zu hören; das Konzert fĂĽr Klavier Nr. 2 von Rachmaninow zu hören; das Adagietto der FĂĽnften Sinfonie von Mahler; das Adagio fĂĽr Streicher von Samuel Barber; Bilder einer Ausstellung von Mussorgski in der hervorragenden Orchestrierung von Ravel; Das Meer von Debussy; das Konzert fĂĽr Violine und Orchester von Sibelisus; Der Liebeszauber oder Nächte in spanischen Gärten von Falla; die Suite Iberia oder die zwei Spanischen Suites (op. 47 und op. 97) von Isaac AlbĂ©niz, sowohl in der originalen Version fĂĽr Klavier als auch in den sehr schönen Bearbeitungen fĂĽr Gitarre (von denen eine Francisco Tárrega zugeschrieben wird); das Konzert von Aranjuez oder die Phantasie fĂĽr einen LliebenswĂĽrdigen von JoaquĂ­n Rodrigo? Wir könnten fortsetzen: Wie viele hatten Gelegenheit, wenigstens ein Mal den Kanon von Pachelbel zu hören; das Adagio von Albinoni; die OuvertĂĽre der Oper Tannhäuser von Wagner; das Tripelkonzert von Beethoven; das Quintett mit Klavier von Schumann?… Dies sind sehr wohl geniale Werke der Musik, von einer Schönheit, die sich nicht auf das rein Sinnliche und Epidermale, auf das Erzeugen eines schnellen angenehmen Eindrucks beschränkt; es ist eine sublime Schönheit, die ĂĽber den Augenblick des Erklingens ihrer Töne hinausweist und uns das Wahre und Schöne ĂĽbermittelt. Die Kenntnis dieser Werke ―auf die ich mich hier beziehe― könnte vielen ĂĽberaus nĂĽtzlich sein beim Eintritt in eine ihnen unbekannte Welt, in das wundervolle Innere der Wirklichkeit, das nur dem kontemplativen Geist zugänglich ist. Hierin liegt in Wahrheit das Angebot einer Kunst von spirituellem Format, die dem menschlichen MaĂź gerecht wird! Wie gut wäre es, wenn man ĂĽber unsere Zeitgenossen nicht sagen mĂĽsste, was der Dichter Antonio Machado einst sagte: „Sie missachten, was sie nicht kennen“!

Ich möchte von meinem Land sprechen. Unter jungen Leuten gibt es  eine zusätzliche Schwierigkeit, sich der Kunst zu nähern, die eine Folge einer von Subjektivismus verunreinigten Bildung ist. Was hältst du davon? Wie ist deine Meinung darüber? Man hat sie angehalten, alles aus ihrem sehr persönlichen Blickwinkel zu beurteilen, noch bevor sie auch nur ansatzweise den Kern der jeweiligen Materie kennen. Auf diese Weise haben sie die Neigung entwickelt, etwas zu akzeptieren oder abzulehnen ―„gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“―, lediglich auf der Grundlage eines ersten Eindrucks; es mangelt ihnen an der Gewohnheit, die Dinge objektiv verstehen zu wollen, so, wie sie in Wirklichkeit sind, nicht nur aus „meiner“ beschränkten Sicht. Einem Meisterwerk kann man mit seiner eigenen Unfähigkeit oder Beschränktheit, es zu verstehen, begegnen; aber dennoch könnte man auch so reagieren: „Ich werde mich anstrengen, ich werde mehr Wissen anhäufen, damit ich es besser begreife“. Es ist wie mit einer Person, die inmitten des Meeres zu sich sagt: „Ich will ―rudernd oder schwimmend― versuchen, das Ufer zu erreichen.“ Die jungen Leute neigen dazu, auf eine andere Weise zu reagieren (mit dem Vorbehalt „gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“): „Soll doch der Hafen zu mir kommen, wenn er will, ich rühre mich nicht von der Stelle!“

Als noch junger Mann schuf Gian Lorenzo Bernini (1598-1680) in Marmor eine wundervolle Gruppenskulptur, die ein mythologisches Thema verkörperte: Apollo und Daphne. Apollo versucht, die Nymphe Daphne zu erreichen; im Moment, da er sie berĂĽhrt, verwandelt sich das Mädchen in einen Lorbeerbaum… Es ist die Frustration fĂĽr all jene, die die Frau in reduzierter Betrachtung nur als einen Körper wahrnehmen. Und so sehr sie sie an sich binden wollen… es entgeht ihnen das Geheimnis der Person, das wahre Wesen des Menschen, dessen Zuneigung sie gewinnen wollen. Eine ähnliche Frustration durchleben jene Menschen, die in konsumistischem Fieber mehr und mehr GĂĽter anzuhäufen versuchen… Wenn jemand in anderen Wesen den Ruf nach Transzendenz, den Sinn der natĂĽrlichen Ordnung nicht wahrnimmt, wenn in ihm die Fähigkeit zur Bewunderung und Dankbarkeit nicht geweckt wird, kann ihn der bloĂźe materielle Besitz innerlich gleichermaĂźen leer lassen: Er hätte lediglich die „Schalen“ an sich gebracht, denn das Mysterium des Kosmos´ bliebe ihm unzugänglich. Jemand hat gesagt, „wir sind vom Lärm krank…“ Wer seine Augen nicht vom „Handy“ abwendet, um SMS zu schreiben oder zu empfangen, wer beständig unter Kopfhörern verharrt, die seine ganze Aufmerksamkeit mit einer lärmhaften und zudringlichen „Musik“ fĂĽllen, dem entgeht das Beste… Der Liebreiz natĂĽrlicher Laute wie das Rauschen des Meeres oder des Windes, das Singen der Vögel… das Schauspiel eines Sonnenauf- oder -untergangs, wenn die Elemente in Harmonie  zusammentreffen, das langsame Aufbrechen eines Baumes, wenn er sich im FrĂĽhling mit Blättern fĂĽllt… und so viele alltägliche und gewöhnliche Freuden mehr wie die stille ErfĂĽllung der Pflicht, die Teilnahme an der Kraft der Schöpfung in der Arbeit; die verantwortliche AusĂĽbung der Freiheit, die dem Erreichen des Guten gewidmet ist; die vielgestaltige Entfaltung einer spirituellen Elternschaft, ein Zeichen der Reife eines Menschen; das GlĂĽck, eine Familie zu haben und, mehr noch, das Geschenk des Wie gut ist es, dass du existierst! mit der unschätzbaren Freude am NĂĽtzlichsein, am Teilen von Aufgaben, Zeit, Bestrebungen, Erlebnissen mit jenen auszukosten, die dich lieben und die du liebst… Diese einfachen natĂĽrlichen! Erfahrungen geben dem menschlichen Geist Fragen auf und wecken in ihm tiefe existentielle Fragestellungen. Die technologischen Fortschritte und das kĂĽnstlich bequeme Leben scheinen in Vielen die Fähigkeit, sich fĂĽr die Wahrheit, fĂĽr das Gute und das Schöne zu interessieren, einzuschläfern und zu ersticken. Das “geschwächte Denken” in unseren Zeiten wird charakterisiert durch die Abwendung von den groĂźen Fragen, die die menschliche Existenz betreffen, und die Hinwendung zu Fragen wie: “Was hast du heute abend vor? Welche Mannschaft hat die letzte FuĂźballweltmeisterschaft gewonnen?” Es ist, als wĂĽrde man den Lebensweg in einem Auto zurĂĽcklegen, das nur Abblendlicht hat, und zwar sehr abgeblendet.

„Wenn wir nicht dahin gelangen, dass die Menschen wierder Genuss verspĂĽren an ihrem normalen Leben, welches die Modernen langweilig nennen, wird unsere Zivilisation in einigen Jahren in BruchstĂĽcke zerfallen sein… Wenn wir kein Interesse aufbringen fĂĽr die Morgendämmerung, das tägliche Brot und die Hervorbringungen der alltäglichen Arbeit ―einfach so, wie sie sind―, so wird die Erschlaffung wie eine tödliche Krankheit ĂĽber unsere Zivilisation kommen. So ging die groĂźe heidnische Zivilisation unter: mit Brot und Spielen – und mit dem Vergessen der eigenen Götter.“ (Gilbert Keith Chesterton)

In jüngster Vergangenheit erarbeitete Studienpläne lassen die Tendenz erkennen, die „Humanwissenschaften“ oder Geisteswissenschaften ganz zu unterdrücken oder sie auf ein Minimum zu reduzieren: die Religion, die Philosophie, die Geschichte, die Literatur, die Künste… Die These, die einem solchen Entwurf zugrunde liegt, läuft darauf hinaus, dass der praktisch und technologisch orientierte Mensch ―um dessen Ausbildung es geht― zur Beherrschung der Welt nichts anderes braucht als die Werkzeuge, die ihm die moderne Technik zur Verfügung stellt. Die pure Beherrschung der Erde bringt nicht notwendig die Entwicklung der spirituellen Dimension mit sich; dem heutigen Menschen fehlt das harmonische Wachstum seiner Fähigkeiten in ihrer Gesamtheit. Wenn es ihm an “innerem Licht” fehlt (das heißt, an dieser “Fähigkeit, Erstaunen und Einheit gegenüber der Welt, in der wir leben, zu entfalten”16), wird er nicht in der Lage sein, die Größe und Tiefe der Wahrheit, des Guten und der Schönheit zu sehen, zu entdecken; von ihnen wird er allenfalls die oberflächlichen und schnellen Aspekte wahrnehmen ―kaum mehr als ein irrationales Tier― und nicht ihr Inneres und Universelles erfassen, was nur die Kultur erlaubt (jenen, die den Geist entwickeln). Von hier aus ergibt sich die Notwendigkeit, die “Geisteswisschenschaften” als dringend erforderliche Mittel zur Linderung der individuellen und gesellschaftlichen Mängel des heutigen Menschen einzusetzen.

Zahlreiche Bilder der Webseite www.jrtrigo.es werden von kurzen Kommentaren und geometrischen Analysen begleitet, mit denen versucht wird, dem Betrachter oder dem Webuser zu helfen, sich in wenigen Minuten dem Wesentlichen eines Bildes anzunähern. Heutzutage gehen viele Menschen viel zu eilig durchs Leben, ohne Sinn für Reflexion und Betrachtung… oder ohne das erforderliche kulturelle Rüstzeug, das ihnen erlauben würde, sich in eine künstlerische Schönheit zu vertiefen, die über die unmittelbare Wirkung von Bildeffekten hinausgeht.

 

7. Man sollte künstlerischen Fortschritt nicht mit Lärm verwechseln

 

Auf eben jener Seite www.jrtrigo.es findet sich ein im Vergleich zu den anderen ausgedehnterer Kommentar, der das Bild Die Auflösung der Figur (I) begleitet und der einen anderen Aspekt der Gier nach dem Neuen in heutiger zaeit berĂĽhrt: diese frenetische wilde Flucht fast aller “KĂĽnstler” hin zur Abstraktion. Das FigĂĽrliche, das die bekannte oder imaginierte Wirklichkeit kĂĽnstlerich aufruft, neu erstehen lässt und unsterblich matcht, “ist nicht mehr modern, nĂĽtzt uns nichts mehr, wir mĂĽssen zu anderen Themen ĂĽbergehen”… Die Entmenschlichung der Kunst ist dieser Flucht eingeschrieben. Die zwei Absätze von JosĂ© JimĂ©nez Lozano, die ich zuvor zitier habe, und jener Absatz, der sich auf den  Hofmaler Velázquez bezieht, sind in diesem Punkt ebenfalls erhellend.

Die Reproduktionen gemalter Gesichter, die auf der Webpage www.jrtrigo.es anzutreffen sind, zeigen einen Teil meiner Malerei, lassen aber erkennen, dass diese Malerei den großen Herausforderungen der Natur nicht den Rücken zugewandt hat. “Es gibt sehr viele geheimnisvolle Dinge, aber nichts ist so geheimnisvoll wie der Mensch.” (Sophokles)

Achten wir auf ein menschlices Auge… Es ist eine wahre Herausforderung fĂĽr einen Augenarzt, aber ebenso fĂĽr einen KĂĽnstler. Und ein Lächeln? Und ein Weinen…? In der zeitgenössischen Malerei stößt man nicht eben häufig auf eine respektvolle Behandlung des Menschen, ohne Deforrmationen oder Entstellungen, die aus der menschlichen WĂĽrde einen Plunder machen und das menschliche Wesen auf ein bloĂźes gestalterisches Objekt reduzieren. Unter diesem Aspekt könnte vielleicht vielen Betrachtern meine Malerei als eine Oase in einer ausgedehnten WĂĽste erscheinen. “Ein Baum, der fällt, macht mehr Lärm als ein ganzer Wald beim Aufwachsen”. Der Bruch mit der Tradition ist deutlich lauter als die lebendige Weiterentwicklung derselben; knalliger die Extravaganz und die auĂźerkĂĽnstlerische Provokation als eine Schönheit, die Bewunderung weckt und dem Betrachter das Mysterium vorfĂĽhrt; es geht schneller, unter groĂźem Pulverdampf das kulturelle Erbe, das vom menschlichen Geist im Verlauf der Jahrhunderte angesammelt wurde, zu vernichten, als schrittweise und mit Blick nach vorn das Erreichen der Perfektion und der Entdeckungen voranzutreiben…

 

8. Sie mag in Mode sein oder nicht – die künstlerische Qualität hat immer Anhänger

 

Auch könnte zur Erhelleung beitragen, was unlängst mit Sorolla geschehen ist, einem Maler, der von gewissen “zeitgenössischen” Kritikern geschmäht wurde, weil seine Malerei immer abseits der Künstlerischen “Avantgarde” angesiedelt war. Dennoch reagierte das Publikum, frei von den Vorurteilen der Modernität, die einige durchsetzen wollen (die Gier nach Neuem und Extravagantem), mit einem massiven Ansturm auf die Ausstellungen der Malerei von Sorolla und bestätigte ihn als eine der populärsten und universellsten Maler der spanischen Kunstgeschichte.

In diesem Zusammenhang erscheint es angebracht, auf ein Paradoxon aufmerksam zu machen: häufig sind die “modernen” Gemälde (die ersonnen wurden, um mit ihrem neuartigen oder schockierenden oder extravaganten Anschein zu überraschen) in ihrer Ausführung sehr schlicht, routinemäßig hergestellt von “Malern” mit wenig Fingerfertigkeit, die schwer verständlich und verdaulich sind. Im Gegensatz dazu sind die Arbeiten von Sorolla in ihrer Ausführung schwierig, nur ein Maler, der die bildnerischen Techniken suverän beherrscht, erreicht dergleichen, und doch sind sie in ihrer Meisterschft für den Betrachter leicht zu erkennen; diese Malerei ist ganz wesentlich klassisch und populär, zeitlos und nach dem Geschmack von fast Jedem.

 

9. Der Konventionalismus unserer Epoche

 

Was würde wohl geschehen, wenn man an einem Ausstellungsort Porträts von Andy Warhol und einige Werke der spanischen Darstellungen von Heiligen aus der Renaissance und dem Barock (Bilder des “göttlichen” Morales, Skulpturen von Damián Forment, Alonso de Berruguete, Gregorio Hernández, Juan Martínez Montañés, Alonso Cano, Pedro de Mena, Francisco Salzillo) versammeln würde? Der Kontrast wäre offensichtlich: die einen weltberühmt, die anderen deutlich bescheidener (international verhältnismäßig wenig bekannt). Hier ein Mangel an Komplexität und Mysterium, ohne die Beherrschung einer bildnerischen Substanz und ―in der Folge― ohne die Fähigkeit, etwas vom menschlichen Geist zu vermitteln; dort, komplexe Gebilde von einer unsagbaren Ausdruckskraft, ausgeführt mit unübertrefflicher Meisterschaft und Souveränität im Umgang mit dem Material, Übermittler tiefer Gefühle und Ergründer der menschlichen Seele; hier die Banalität eines Werbeposters, das man sieht und sofort wieder vergisst; dort etwas Ergreifendes, von einer Schönheit,die sich über das Flüchtige hinwegsetzt und die Vollkommenheit streift… Was also würde geschehen, wenn man die Einen den Anderen gegenüberstellen würde? Vielleicht würden diese so berühmten Weke sich mit Schamesröte überziehen gegenüber jenen, die so viel bescheidener, aber wundervoll sind? Wie fragwürdig sind doch einige der Übereinkünfte unserer Zeit! (Die Gemälde mit religiöser Thematik von El Greco, Ribera, Zurbarán, Velázquez, Murillo und Goya habe ich hier ausgelassen, um nicht über die Gruppe der “bescheideneren” Künstler hinauszugehen).

 

10. Die Zeitlosigkeit der künstlerischen Schönheit

 

Die Fakten bezeugen, dass die Gier nach dem Neuen eine ausschließende ist; die Schönheit jedoch umfasst sowohl das “Alte” als auch das “Neue”, um es in eine höhere Kategorie zu überführen, um daraus etwas sich immer wieder Erneuerndes, Zeitloses zu machen.

” In den letzten Lebensjahren von J. S. Bach schien die Fuge eine ermattete, veraltete, fast nicht mehr gebräuchliche musikalische Form zu sein. Mehr als zwei Jahrhunderte später, im 21. Jahrhundert, ist die musikalische Kunst von J. S. Bach ―auch die seiner Fugen― überaus aktuell und erhaben.

“In der Musik von J. S. Bach vereinen sich in bewundernswerter Weise Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.”17

“Als wenn die ewige Harmonie sich mit sich selbst unterhielte, wie sich’s etwa in Gottes Busen, kurz vor der Weltschöpfung, möchte zugetragen haben, so bewegte sich’s auch in meinem Innern.” (Johann Wolfgang Goethe über Bach)

Er entblößt die menschliche Natur, um ihre göttlichen Attribute zu zeigen. Den alltäglichen Dingen verleiht er einen spirituellen Reiz, dem was flüchtig ist, verleiht er die Flügel der Ewigkeit. Die göttlichen Dinge macht er menschlich und die menschlichen göttlich – so ist eben Bach, der größte und reinste Moment in der Musik aller Zeiten. ” (Pablo Casals)

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1,  10  Gustave Thibon, L´équilibre et l´harmonie (Das Gleichgewicht und die Harmonie)

2  José Antonio Jáuregui, La identidad humana (Die menschliche Identiät)

3,  4  Esther Meynell, Die kleine Chronik der Anna Magadalena Bach

5  Juan Manuel de Prada, Die Bilderstürmer (Artikel in “ABC”, 28.02.2015)

6  Juan Manuel de Prada, Farbstrahlen für einen Unsinn (Artilel in “ABC”, 08.11.2008)

7,  8,  15  Balthus, Erinnerungen. Aufgezeichnet von Alain Vircondelet. Kapitel 71, 61 und 57

9  Aristoteles, Nikomachische Ethik 2, 6

11,  12,  13,  14  Juan Antonio Vallejo-Nájera, Locos egregios (Erlauchte Verrückte)

16 Alexandro Delgado, A propĂłsito da MĂşsica (In Sachen Musik, Sendung auf Antena 2 RTP)

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